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Vasilij Âroslavovič Golovanov: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (Paperback, deutsch language, Matthias Seitz Berlin) No rating

Mit unerhörter Intensität und getränkt von Mythen, Märchen und Legenden beschreibt der Journalist und Schriftsteller …

Was war das für ein Gesicht? Seine Züge sind nicht in Erinnerung geblieben, nur der allgemeine Eindruck, genau wie beim Regenmantel. Unmöglich, dessen Aussehen zu beschreiben, oder wenigstens die Farbe anzugeben. Ein Gummimantel, gelb oder beige wohl, aus dem ein sehniger Hals hervorstak, so von einem Tuch umschlungen, dass der Mantel gut über den nackten Körper gezogen sein konnte, denn da war etwas Schauerliches, an der alten, rissigen Regenhaut beziehungsweise dem mageren Körper, den sie umhüllte - wenn nämlich der Körper dieser Hülle entsprach, dann war es einer, der das Leben und allerlei Vernachlässigung kannte, wie der auf den Müll geworfene und zufällig von irgendwem wieder herausgezogene Mantel ... Aber das Gesicht ... die magere, sehnige Verlängerung des roten Halses. Ein gewöhnliches Gesicht, ja, schon, aber absolut nicht von hier, umgebildet vom unermüdlichen Werk des spiritus vini. Unablässig hat in grenzenlosen Winternächten der Dämon Alkohol an diesem Gesicht gearbeitet, hat die farblosen Augen mal mit den Strahlen des Nordlichts erhellt, dann mit grimmiger Katerschwermut bis auf den Grund ausgefroren, hat Furche um Furche das Netz aus Runzeln aufgetragen und, unzufrieden mit seinem Werk, dem ihm anvertrauten so eine gedonnert, dass die ganze Physiognomie vom Genick bis zum Unterkiefer in Verzerrung geraten ist, und nicht nur einmal, wie das in alle Richtungen stehende rote Haar, die ungleichen großen Ohren, die schiefe Nase, die gänzliche Assymetrie sämtlicher anderer Einzelheiten dieses Gesichts es belegten, das unterm Strich ... Ja, unterm Strich drückte dieses Gesicht Konzentriertheit aus, eine, wie sie mit dem Verb "festhalten" verbunden ist, und tatsächlich: eine magere rote Hand hielt einen unterm Sitz liegenden Sack fest; aber allgemeiner drückte dieses Gesicht eine Verzweiflungsunbekümmertheit aus, die man gleichermaßen für Freude wie für Wahnsinn halten konnte. Dieser Mensch ist zweifellos vorübergehend aus der Hölle entlassen worden und kehrt in die Hölle zurück: das besagte seine Physiognomie derart deutlich, dass dem Fliehenden mit einem mal flau im Magen wurde, weil sie Reisegefährten waren.

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens by  (Page 92)

Der "Fliehende" ist der Autor selber. So sieht er sich: als Fliehender vor seinem speziellen Leben, der wie Weite und Freiheit sucht. Nur wird ihm, wie man liest, Angst und Bange bereits bei der Anfahrt. Sehr schöne Passage, finde ich. Davon gibt's echt sehr viele.