gregorgross quoted Das Treibhaus. by Wolfgang Koeppen
Der Präsident des Bundestages ließ sein Haus durch Polizisten bewachen, während jedes echte Parlament bestrebt sein sollte, die bewaffneten Organe der Exekutive seinem Domizil möglichst fernzuhalten, und in den guten Urzeiten der parlamentarischen Idee hätten sich die Abgeordneten geweigert, unter Polizeischutz zu tagen, denn das Parlament war damals, wie es auch zusammengesetzt sein mochte, polizeifeindlich, weil es die Opposition an sich war, die Opposition gegen die Krone, die Opposition gegen der Mächtigen Willkür, die Opposition gegen die Regierung, die Opposition gegen die Exekutive und ihre Säbel, und so bedeutete es eine Pervertierung und Schwächung der Volksvertretung, wenn aus ihrer Mitte die Mehrheit zur Regierung wird und die vollziehende Gewalt an sich reißt. Was heißt das bei unglücklicher Zusammensetzung des Hauses anderes als Diktatur auf Zeit? Die Mehrheit exekutiert ihre Gegner nicht; aber sie ist doch ein kleiner Tyrann, und während sie herrscht, ist die Minderheit ein für allemal geschlagen und zu einer eigentlich sinnlosen Opposition verdammt. Die Fronten standen fest, und leider war es undenkbar, daß ein Redner der oppositionellen Minderheit die regierende Mehrheit überzeugen konnte, daß er einmal recht und sie unrecht habe. Aus der Opposition den Kurs der Regierung zu ändern, gelänge in Bonn selbst Demosthenes nicht; und auch wenn man mit eines Engels Zunge spräche, man predigte tauben Ohren [..].
— Das Treibhaus. by Wolfgang Koeppen (Page 158)
Und so sind wir also heute bei einer Diktatur der Mehrheit, oder besser gesagt, einer Diktatur im vermeintlichen Wahlauftrag der Mehrheit gelandet. Die Regierung hält sich nicht an ihre eigenen Wahlversprechen, weil man ja Koalitionsgespräche führen mußte und macht also, den nebulösen mehrheitlichen Wählerauftrag im Rücken, vier Jahre lang, was sie will.
Sie trifft sich hinter verschlossenen Türen mit den Mächtigen, vor deren Willkür und Egoismus sie uns eigentlich schützen sollte.
Koeppen hat dies bereits 1952 vorausgesehen.
