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Die Arbeit des Moralphilosophen besteht dann darin, eine möglichst konsistente und kohärente Rekonstruktion der Prinzipien zu liefern, die er für richtig hält, wobei er von sogenannten Intuitionen ausgeht, die »wir« angeblich haben (jedenfalls hat sie der Moralphilosoph). »Wir«, das sind zunächst die Menschen, von denen der Moralphilosoph glaubt oder meint, erwarten zu dürfen, dass sie seine Intuitionen teilen; aber da die Ethik, wie gesagt, mehr zu sein beansprucht als lokale Semantik, leitet er aus diesen Intuitionen historisch invariante Prinzipien von universalem Anspruch ab. Nicht wenige Philosophen gehen auch heute noch ganz selbstverständlich davon aus, das Wesentliche an der moralischen Person verstehen zu können, ohne sie in ihren sozialen Lebensbezügen zu betrachten und die eigenen Annahmen in Beziehung zu dem zu setzen, was uns empirische Wissenschaften wie die Altertumswissenschaften, die Ethnologie, die Rechtswissenschaften und andere Kulturwissenschaften über wirkliche ethische Systeme und das Selbstverständnis von Personen lehren können.

Scham, Schuld, Verantwortung by  (Page 10)

Eine so umfassende Kritik in so wenigen präzisen Sätzen. Chapeau!